Zu Ostern … etwas Privates, Philosophisches … zum Nachdenken und Diskutieren …: „Sieben Milliarden Universen“
Jeder Mensch ist einzigartig und nimmt die Welt daher auch auf seine eigene Art wahr.
In der Philosophie gibt es die Frage der Existenz, die Seinslehre – Ontologie genannt. Für mich persönlich gibt es eine externe Welt unabhängig von der Existenz des einzelnen Menschen. Denn um die Umwelt wahrzunehmen, muss nicht nur die Umwelt sondern auch der Mensch (mit seinen Sinnesorganen) bereits vorher existieren. Wie wir Wissen über diese Umwelt gewinnen, dass ist die philosophisch die Frage der Erkenntnistheorie. Hier sieht jeder Mensch die Umwelt in gewissem Maße anders – nach subjektiven Kriterien. Warum ist das so?
Der Mensch kommt mit einem beschränkten Wissen (a priori) zur Welt. Neben den zum Überleben erforderlichen Instinkten sind dies auch Grundvorstellungen von Gerechtigkeit, sozialem Verhalten und Werten. Ausdrücklich ist kein akademisches Wissen gemeint. Der Mensch kommt auch mit gewissen genetischen Predispositionen zur Welt, die er ererbt hat. Neben diesen ererbten Voraussetzungen oder Einschränkungen prägen Erlebnisse, Erziehung und Traditionen das „Grundverständnis“ des Menschen von der Welt. Die soziale Umgebung des Menschen ist subjektiv und entsteht durch die Interaktion mit den anderen Menschen. Sie kann daher auch von jedem Menschen in gewissem Maße beeinflusst und damit mit gestaltet werden. Es bildet sich sein eigenes „Mindset“ jedes Menschen heraus, durch das er die Welt individuell wahrnimmt.
Zu dem jeweiligen Universum gelangt er nicht nur durch Beobachtung sondern auch durch Verarbeitung bzw. Bewertung der Beobachtungen. Dadurch kategorisiert er Beobachtungen als positiv oder negativ, willkommen oder unwillkommen, richtig oder falsch. Je nach Bewertung priorisiert er Beobachtungen und Eindrücke. Hieraus ergeben sich wiederum Einflüsse auf das Sehen, die wiederum die Kategorisierungen verstärken können.
Daher „sieht“ jeder Mensch die Welt anders. Das beginnt mit der Frage, ob wir tatsächlich dasselbe sehen, wenn zwei Menschen eine rote Rose sehen. Wir haben gelernt, die gesehene Farbe „Rot“ zu nennen. Ob wir tatsächlich die gleiche Färbung sehen ist nicht nachweisbar. Wir haben auch gelernt, welche Parameter eine Blume, insbesondere eine Rose, ausmachen. Nicht im Sinne Platons Ideenlehre, sondern durch Lernen aus Sinneswahrnehmung.
Das „Sehen“ geht aber noch viel weiter. Wenn ein Mensch seine Umwelt wahrnimmt, dass sortiert und priorisiert er automatisch das Gesehene. Früher war dies überlebenswichtig um Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Das hat sich bis heute erhalten. Menschen sehe auch heute noch bewegliche Objekte schneller als unbewegliche. Je nach Vorlieben oder Bedürfnissen sieht ein Mensch gewisse Objekte schneller als andere. EIne Dame bewundert bei einem Bild vielleicht die Blumen, der Mann eher die Kampfszenen. Dre Motorsportinteressierte sieht zuerst den Sportwagen, der Modeinteressierte zuerst das neuen Bekleidungsgeschäft.
Das „Sehen“ kann auch eingeschränkt sein. Auch sehen Farbenblinde sicherlich die Welt etwas anders als Normalsichtige – insbesondere auch wieder die rote Rose. Hier haben viele Farbenblinde gelernt, eine aus ihrer Sicht vorhandene Schattierung von Gelb als Rot zu bezeichnen, da dies dem Konsens der Mehrheit entspricht.
Dies geht mit dem „Riechen“ und „Hören“ ebenso weiter.
So nimmt jeder Mensch mit allen Sinnen individuell die Welt anders wahr und auf. Er gewinnt auch andere Erkenntnisse aus der Wahrnehmung, die er dann rational weiterverarbeitet. Am Ende hat jeder Mensch in der Folge auch seine eigene Wahrheit zu verschiedenen Fragen und Themen. Und ein eigenes umfassendes Weltbild. Jeder Mensch lebt daher in einem eigenen Universum: Persönlich, in seiner Umgebung, in seiner Gesellschaft und seinem Verständnis von der Welt und deren Zusammenhänge. Daher kommen wir auf mindestens sieben Milliarden Universen.
Doch wie kommt er dahin?
Jeder Mensch verarbeitet und bewertet Informationen und Eindrücke umgehend und weitgehend unbewusst – nach seinem Mindset. Dieselbe Information löst daher bei verschiedenen Menschen, zum Beispiel Israelis und Palästinensern, ganz andere Ergebnisse und am Ende Wahrheiten aus. Der Neubau von Siedlungen im Westjordanland ist für den Israeli eine völlig berechtigte Maßnahme um zum einen das Wohnungsproblem zu lindern und das geheiligte Land auch sicherer zu machen. Der Palästinenser sieht dies natürlich ganz anders. Er sieht darin eine rechtswidrige Beschlagnahmung und Enteignung palästinenischen Landes durch einen Okkupator. Aus beiden individuellen Sichtweisen von Einzelpersonen ist die jeweils eigene Bewertung auf Basis der eigenen Erziehung, Tradition und Erfahrungen heraus „wahr“.
Da die verschiedenen Mindsets auch aus Tradition herrühren, sehen mehrheitlich auch Bürger verschiedener Volksgruppen, Stämme oder Nationen die Welt durchaus anders. Vermeintlich starke Nationen wie die USA sehen die Welt „von oben“ als Instrument des wirtschaftlichen Handelns und Erfolges, den sie auch militärisch absichern wollen / müssen. Vermeintlich schwächere Nationen wie z. B. Entwicklungsländer sehen die Welt „von unten“ eher als Ort, in dem sie sich einen Platz erkämpfen und gegen die reichen Industriestaaten durchsetzen müssen. Länder mit mit noch intakten Ökosystemen die ggf, auch nur dünn besiedelt sind gewichten Umweltfragen deutlich geringer als dicht besiedelte Staaten, die die unter den Folgen des Klimawandels leiden. Dies gilt auch für die Mehrheit der dort lebenden Menschen. Zu den Traditionen will ich in diesem Zusammenhang auch die Religionen zuordnen. Je nach religiöser Überzeugung wie z. B. als Kreationist oder Darwinist sieht man die Welt anders. Auch unterscheidet sich das religiöse Weltbild Gläubiger deutlich von Anders- oder Ungläubiger.
Die Erziehung eines Menschen prägt ihn sehr. Hier werden Werte und Wertvorstellungen aber auch Vorurteile weitergegeben. Eine strenge, asketische Erziehung betont einfache Dinge und betrachtet „Verschwendung“ in Luxus als überflüssig oder sogar verwerflich. Daher wird ein so erzogener Mensch künftig solche „Verschwendungen“ verstärkt wahrnehmen und in sein Weltbild ggf. als „verkommene Gesellschaft“ aufnehmen. Eine offene Erziehung ermöglicht den Kontakt zu vielen Menschen und Lebensmodellen, so dass diese eher neutral toleriert werden.
Sofern man negative Erfahrungen und Erlebnisse gemacht hat, wird man bei der Beobachtung der Umwelt unbewusst verstärkt auf solche Situationen oder Umweltanzeichen achten. Die Vorsicht führt zu einer skeptischeren und tendenziell negativeren Beurteilung der Umwelt. Positive Erfahrungen an bestimmten Orten oder in bestimmten Situationen bewirken eine positivere Sicht, wenn analoge Rahmenbedingungen erneut auftreten.
Der Mensch nimmt die externe – unabhängig von ihm selbst – bestehende Umwelt jeweils individuell wahr. Er kann die Umwelt aber nicht „tatsächlich neutral“ beobachten. Er sieht nicht „die Dinge an sich“ im Kant’schen Verständnis. Die Gesellschaft bzw. soziale Umgebung entsteht durch Interaktion der Menschen untereinander. Deren Wahrnehmung ist aber ebenso subjektiv.
Daher hat – im übertragenen Sinn – jeder Mensch ein eigenes Universum in seinem Bewusstsein. Er sieht die körperliche und gesellschaftliche Welt auf eine einzigartige Weise. Dieses „Universum“ existiert in seinem Bewusstsein. Jeder Mensch hat demzufolge Grenzen seines „Gesichtskreises“, seiner Wahrnehmung die die Grenzen (seiner) der Welt ausmachen – vergleichbar mit Schopenhauers Philosophie. Die Erkenntnis eines Menschen geht nicht über die sinnlichen Erfahrungen hinaus (vgl. Locke, John). Dieses individuelle Universum ist ein einzigartiges Unikat, dass aus seiner Ontologie und Erkenntnistheorie folgt und sein Wissen, seine Einstellung und „Wahrheiten“ prägt und die Persönlichkeit beeinflusst. Diese Universum ist dynamisch. Es entwickelt sich durch neue Erfahrungen fort. Auch historische Ereignisse und Erfahrungen werden ex-Post aufgrund neuer Informationen und Überzeugungen noch einmal neu bewertet. Daher verändert sich das individuelle Universum bis zum Tode.
Ob dieses Universum mit dem Tod untergeht oder in einer unsterblichen Seele fortbesteht ist unklar. Es ist auf jeden Fall nach dem Tode nicht mehr primär von Nutzen – doch hat es seine Persönlichkeit geprägt und gehört als Historie zu ihm.
Ein Untergang dieses Universums wäre in jedem Fall ein Verlust- genauso wie das angehäufte Wissen, das mit untergeht und der Gesellschaft und jedem Einzelnen noch nützlich sein könnte.