Zinsen: Steht uns ein Sommer des Chaos bevor?
Leider hat sich das Mitte / Herbst letzten Jahres als eher unwahrscheinlich erscheinende Niedrigzinsszenario durchgesetzt. Ging man mehrheitlich (und auch ich) nach „reiner Lehre“ davon aus, dass das Auslaufen des Anleiheankaufsprogramms die Zinsen stabilisieren und tendenziell eher erhöhen würde (zumal Herr Draghi erste Zinserhöhungen für den Herbst 2019 in Aussicht stellte), so haben die Verunsicherungen aus Handelskrieg, Brexit, Nahostkonflikt, Staatsschuldenkrise Italien/Griechenland und den daraus entstehenden wirtschaftlichen Risiken das Zinsniveau nach unten getrieben.
Dabei weisen wir noch ein (wen auch gesunkenes) Wirtschaftswachstum auf. Eine Rezession ist nicht erkennbar. Auch wen die Diskussionen auch die Verbraucher zunehmend verunsichern. Es scheint auch inzwischen klar zu sein, dass die Eurozone mit einem ungeregelten Brexit deutlich besser klar käme aus Großbritannien. Die laufenden Diskussionen und Verzögerungen geben den EU-Firmen ausreichend Zeit sich bis Ende Oktober ausreichend auf den Brexit vorzubereiten. Der Brexit wird für die Eurostaaten einmalige Kosten und Einbußen bringen, diese werden aber schon 2020 verarbeitet sein. Die Handelsströme werden sich neue Wege suchen und finden.
Die EZB sollte dies antizipieren und nicht gleich wieder zur Expansionspolitik zurückkehren. Das starre Festhalten an der Inflationserwartung, die im Wesentlichen von der Entwicklung des Ölpreises im Vergleich zum Vorjahreswert beeinflusst wird (dieser Veränderungswert hat nur wenig mit der tatsächlichen Entwicklung der europäischen Wirtschaft zu tun) ist schlicht falsch. Hier müsste eine zutreffendere Berechnung der Inflation gefunden werden, die die Lage der Wirtschaft und auch das Empfinden der Bürger mehr trifft. Oder man löst sich bei den geldpolitischen Entscheidungen von der Nibelungentreue der Inflationsrate und -erwartung. Die EZB vergibt nun die ggf. einmalige Chance durch Zinserhöhungen überhaupt erst wieder ein nennenswertes und wirksames Maßnahmenpotential aufzubauen. Die Gefahr eines japanischen Kurses scheint immer größer zu werden. Frau Lagarde repräsentiert ebenfalls eher einen expansiven Kurs der Geldpolitik. Die reformunwilligen Staaten (vor allem Italien und Griechenland) hätten sich wohl kaum eine bessere Nachfolgerin von „Mr. Niedrigzins“ Draghi wünschen können. Eine schwache Nachfolgerin von Frankreichs Gnaden (Frankreich ist ebenfalls hoch verschuldet) die auf niedrige Zinsen setzt, wird auch die letzten Reformbemühungen in den Schuldenstaaten erlahmen lassen. Dabei wird ein „Weiterso“ die Eurozone (und ggf. die EU) nicht retten, nur eine schmerzliche Reform und Entschuldung der überschuldete Mitgliedstaaten kann die Eurozone langfristig retten. Einem nicht zahlungsfähigen Kreditnehmer eine Stundung und einen Zinsverzicht nach dem anderen zuzusagen hat noch niemanden saniert. Die EZB spielt auf Zeit – riskiert damit aber alles. Und wir sind nicht Japan. Dort gibt es nur einen Wirtschaftszone, einheitliche Regelungen, Steuern und eben auch nur eine Regierung. In der Eurozone werden die Rotationskräfte im Niedrigzinsumfeld immer mehr zunehmen. Die Eurokritischen Parteien werden stärker und die „Zahlerstaaten“ werden irgendwann nicht mehr bereit sein die Schuldenstaaten zu alimentieren. Dann ist die Eurozone und auch die EU wohl „am Ende“. Die EZB muss sich hier auf die Stabilitätskriterien des Euro zurückbesinnen. Wer sie nicht erfüllt – und ggf. noch nie erfüllt hatte – der muss sie jetzt erfüllen. Oder zumindest deutliche Schritte in diese Richtung unternehmen.
Der Handelskrieg bleibt uns noch so lange erhalten, so lange Trump amerikanischer Präsident ist. Da Trump wirtschaftliche Themen mit sicherheits- und militärischen Themen vermischt, bleiben Unsicherheit und Risiko groß. Hier muss sich die die EU auch nachhaltig selbständiger aufstellen. Als Ad-hoc-Maßnahme könnte Deutschland aber auch seine marode militärische Struktur durch Zukäufe funktionierender Systeme aus den USA verstärken. Dann wären nicht nur die Diskussionen um das 2% Ziel erledigt sondern auch die US-Autozölle vom Tisch. Langfristig muss Europa sich selbst verteidigen um sich nicht mehr erpressbar zu machen.
Zusammengefasst ergeben sich heute eine schwache EZB, die dem Druck der Schuldenstaaten nachgibt (mit dem Vorwand des willkürlich gesetzten Inflationsziels; auf Basis einer ölpreisabhängigen Inflation), der fortdauernden Unsicherheit in Sachen Brexit und internationaler Handelskonflikte gepaart mit einem amerikanisch angeheizten Nahostkonflikt – was i. R. des Präsidentenwahlkampfes in den USA eher schlimmer als besser wird – werden wir wohl zunächst bis zum Herbst weiter niedrige Zinsen sehen. Trump und Johnson werden uns den Sommer / Herbst über immer wieder mit neuen Eskalationen überraschen. Vielleicht lernen wir aber auch zu erkennen, dass dem Getöse wenig Substanz folgt und die Einflüsse der Populisten werden nicht mehr zu ernst genommen.
Diese niedrigen Zinsen werden noch in 2019 an alle Sparer und auch Kleinanleger weitergereicht werden, zumal die EZB wohl auch ggf. den negativen Anlagezins von 0,4% noch auf minus 0,6% senken könnte. Das trifft dann vor allem die deutschen Bürger, die Spar-Weltmeister sind. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass vielen Bürgern niedrige Renten drohen und private Vorsorge mit Negativzinsen nicht möglich ist, könnte zu einem politischen Problem werden. Wir haben wirtschaftlich lange und gut an den niedrigen Zinsen partizipiert. Aber der Leidensdruck der Sparer und Banken nimmt deutlich zu. Wird dann die Kanzlerin Druck auf die EZB und deren Zinspolitik ausüben? Auch um die eigene Macht / Wählerstimmen als auch die Akzeptanz der EU / EZB in Deutschland zu retten? Aber die Sparer sind Wähler – und die werden jetzt die Folgen höchstpersönlich zu spüren bekommen. Dies wird Wasser auf den Mühlen der extremen und europakritischen Parteien sein.
„Lustigerweise“ könnte allerdings der Nahostkonflikt zu steigenden Ölpreisen und damit steigender Inflation führen. Ich bin gespannt ob die EZB dann weiterhin sklavisch ihrer Inflationsabhängigkeit folgt und dann die Zinsen anhebt. Oder ob sie dann umschwenkt um den Schuldenstaaten weiterhin billiges Geld zur Verfügung stellen zu können. Auch könnte ein Lösung des Brexit-Problems durch ein überraschendes Übereinkommen oder der Erkenntnis nach dem 31.10.2019, dass es ohne so heftige Schäden für die Eurozone ausgeht, auch hier die Unsicherheit aus dem Markt nehmen. Das sind aber per heute nur theoretische „Hoffnungsschimmer“ für eine Normalisierung der Politik und Geldpolitik.